Einreichung Rudo Spemann-Preis 2023: Meditations

Verwendete Materialien:

Weiße Acrylfarbe, Breitpinsel (40, 20 & 10mm), Parallel Pen (6mm), Spitzfeder, Skalpell;
Papier, 250 Gramm, schwarz; schwarzes Buchbinderleinen, schwarzes Garn, Nähnadel, Buchbinderleim, Fotokarton; Format: A3


Konzept: Meditations

In dem Reflektieren und Recherchieren des Themas, warum Menschen Notiz- und Tagebücher führen, stieß ich auf Werk Selbstbetrachtungen (Meditations), des römischen Kaisers Marcus Aurelius. Das Werk setzt sich aus insgesamt 12 gesammelten Büchern zusammen, die Aurelius über sein Leben lang verfasste. Das spannende? Niemand außer Aurelius selbst sollte diese Bücher lesen. Sie entstanden als solitäre Aufzeichnungen, in denen der Kaiser sein Weltbild philosophisch reflektierte. Ein beruhigender Gedanke, dass der womöglichst mächtigste Herrscher seiner Zeit, sich wie wir heute, ein wenig freie Zeit nahm, um seine Gedanken zu Papier zu bringen.
In meiner Arbeit erforsche ich auf 48 Seiten, die 12 Bücher von Aurelius chronologisch und interpretiere seine Zitate kalligrafisch neu. Die verwendete Ausgabe von Meditations ist beiliegend. Sie soll alle Betrachtenden dazu einladen das Ausgangsmaterial zu erforschen und zur Partizipation an der Arbeit aufrufen.

Die 12 Bücher der Meditations werden im vorliegenden Werk in Form von 19 Texten neu interpretiert. Kalligrafisch erfolgt eine Abgrenzung zwischen Originaltext und meinen eigenen Texten mit denen ich Aurelius Texte einordne. Die Texte Aurelius sind in Form einer gebrochenen Schrift gestaltet, die eine kontemporäre Mischung aus Schwabacher, Bastarda und Textura ist, um sich einer weitreichenden Formensprache bedienen zu können. Meine eigenen Texte sind mit einer Spitzfeder geschrieben, um einen handschriftlichen Duktus zu wahren und einen Kontrast zu Aurelius Texten zu erzeugen.
Begleitet werden die Texte von Cut-Outs. Diese mit einem Skalpell ausgeschnittene Kalligrafie, durchläuft einen doppelten Erschaffungsprozess. Zuerst werden im Schreibprozess Negativräume zwischen Lettern und Wörtern erschaffen und danach mit einem Skalpell wieder herausgeschnitten. Das Skalpell empfindet bei jedem Schnitt die ursprüngliche Schreibbewegung mit und erschafft gleichzeitig ein neues visuelles Erlebnis. Dreht man das Cut-Out, erblickt man eine abstrahierte Version des geschriebenen Textes, die vorher nicht sichtbar war. Als Einlagen im Buch sollen sie die Tiefe und Vielschichtigkeit des Textes durch Überlappungen und physische Tiefe verdeutlichen. Insgesamt sind im Heft acht dieser textlichen Cut-Outs verteilt. Sie laden dazu ein, herausgenommen und frei betrachtet zu werden. Parallel sind im Heft fünf ornamentale Cut-Outs verteilt. Sie sind zum Teil in das Heft mit eingenäht oder wurden fixiert um Texte passend zu rahmen. Ihre Rolle? Das vorher genannte Prinzip der Cut-Outs komplett zu abstrahieren und als Ornament auf die Spitze zu treiben.
Das Buch wurde in seinen einzelnen Lagen zerlegt, konzipiert und geschrieben. Danach wurden die Lagen unter Aufsicht eines Werkstattleiters von mir selbst vernäht und mit einem selbst hergestellten Buchblock verleimt. Die Wahl einer Schweizer Bindung ermöglicht ein flaches und angenehmes Aufschlagverhalten. Das A3 Format bietet der Kalligrafie viel Platz sich zu entfalten und ermöglicht große visuelle Kontraste.

Mich fasziniert an dem Thema Notizbuch und Marcus Aurelius Selbstbetrachtungen die Zeitlosigkeit. Aurelius Thesen über für die eigene Orientierung, seinen Platz in der Welt und die Lehren des Stoizismus sind in Zeiten multipler Krisen und konstanter medialer Reizüberflutung relevanter denn je zuvor. Vielleicht sollten wir alle versuchen etwas mehr innezuhalten und unsere täglichen Gedanken zu Papier zu bringen? Die Zukunft wird zeigen, ob es sich lohnt. Allerdings ist eines klar: Solange wir Menschen ein Mitteilungsbedürfnis haben, egal ob an unsere Mitmenschen oder bloß an uns selbst, werden wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit aufschreiben.
Vielleicht auch in einem Notizbuch?
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